Sozialkompetenz wird überbewertet!

Warum die Forderung an Führungskräfte nach mehr Empathie irreführend ist
Die Grenzen zwischen Privatleben und Beruf werden weiter aufgeweicht. Gerade im zurückliegenden Jahr war ein deutlicher Sprung in der Flexibilisierung des Arbeitskontextes durch das Coronavirus zu beobachten. Dies stellt MitarbeiterInnen und Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Im Bereich der mentalen Belastungen ist eine deutliche Zunahme zu beobachten.
Die Rolle der Führungskräfte rückt ins Zentrum: Durch die aktuelle Entwicklung sowie die Etablierung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen. Führungskräfte müssen zukünftig physische und psychische Schieflagen erkennen und diese gezielt ansprechen, um ggf. Unterstützungsangebote zu machen. Letzteres geht häufig mit Forderungen seitens der Unternehmen einher, dass Führungskräfte in sozialer Kompetenz oder gar Empathie gefördert werden sollten, um dieser Aufgabe besser nachkommen zu können.
Klar ist: Für Organisationen ist zukünftig wichtig, Schieflagen der Mitarbeiter aufzugreifen und zu lösen. Aber dies kann nicht in der alleinigen Verantwortung von Führungskräften liegen. Eine generell hohe Aufmerksamkeit für alle MitarbeiterInnen – inklusive der Führungskräfte - und die Lösung deren Anliegen ist wichtig. Hierzu könnte man professionelle Unterstützungssysteme installieren, die Beschäftigte unterstützen, sei es bei beruflichen oder privaten Themen.
Der INSITE-Denkraum
INSITE stellt die These zur Diskussion, dass (a) die Forderung nach mehr Empathie/sozialer Kompetenz irreführend ist, (b) die allermeisten Führungskräfte sozial kompetent und hinreichend empathisch sind und (c) die Forderung sogar kontraproduktiv bzgl. zentraler Führungsaufgaben sein kann (für Ziele sorgen, Entscheidungen treffen, Beurteilen). Vielmehr glauben wir, dass die Forderung und Förderung eines respektvollen und höflichen Miteinanders sowie eine möglichst große Klarheit der Spielräume und Unternehmensregeln als Ziel für eine gelingende Zusammenarbeit besser geeignet ist als die Forderung nach Empathie. Auch sollte man Führungskräfte generell dazu ermutigen, MitarbeiterInnen in Belastungssituationen und auch in psychischen Schieflagen anzusprechen und ggf. Unterstützung anzubieten.
Der Denkraum beschäftigt sich mit der Frage, was Unternehmen und deren Führungskräfte brauchen, um den Wandel in Gesellschaft, Arbeit und Zusammenarbeit zu meistern. Dr. Matthias Conradt, Geschäftsführer von INSITE, ist Teilnehmer eines Denkraums im Zukunftskongress.
Herr Dr. Conradt, der Titel des Denkraums ist provokant gewählt. Meinen Sie damit, dass Führungskräften nun alles egal sein kann?
Dr. Conradt: In den letzten Jahren hört man vermehrt die Forderung, dass Führungskräfte möglichst empathisch sein sollten. Wir wollen im Denkraum darlegen, warum wir glauben, dass dieses Ziel irreführend sein kann. Eine empathische Vertiefung kann in manchen Situationen hilfreich, in anderen Situationen paradoxerweise sogar dazu führen, dass klare Entscheidungen behindert werden. Wer nur empathisch reagiert, kann sich zwar in viele Situationen hineindenken und -fühlen, dies führt aber bei Führungskräften manchmal zu einer Überforderung und fehlender Abgrenzung. Allerdings ist dies unseres Erachtens gar nicht nötig, um Beschäftigte möglichst gut zu unterstützen.
Psychologen fordern vehement von den Führungskräften ausreichend Einfühlungsvermögen. Was wäre Ihrer Meinung nach viel wichtiger im Umgang mit den Mitarbeitern?
Dr. Conradt: In unserer langjährigen Beratung von Mitarbeitern, Fach- und Führungskräften machen wir die Erfahrung, dass den Beschäftigten meistens nicht die Empathie bei ihren Vorgesetzten fehlt, sondern ein höflicher und respektvoller Umgang miteinander. Das ist aber etwas Anderes. Letzterer geht aufgrund von emotionalen Zuspitzungen manchmal flöten, was dann zu Kränkungen und Verhärtungen führt. Führungskräfte empathischer zu machen, sehen wir daher als falsches Ziel. Zumal ich denke, dass die allermeisten Führungskräfte ausreichend empathisch und sozial kompetent sind. So wie Mitarbeitende übrigens auch. Viel sinnvoller wäre es, Führungskräfte in die Lage zu versetzen, gut und klar zu kommunizieren und Gespräche auf Augenhöhe zu führen, ohne die Nerven zu verlieren. Auch reagieren viele Führungskräfte erleichtert, wenn wir Ihnen sagen, dass sie so sprechen und reagieren dürfen, wie sie sich selbst als authentisch erleben. Entscheidend für uns ist, dass überhaupt eine Ansprache bspw. von Auffälligkeiten bei Mitarbeitenden passiert.
Gehört dies nicht zur Professionalität von Führungskräften? Warum wird die Augenhöhe so oft verloren?
Dr. Conradt: Weil persönliche Grenzen verletzt werden und man sich stellenweise sehr nahekommt. Nicht jeder kann gut mit dieser sehr persönlichen Nähe im Arbeitskontext umgehen. Man lässt sich anstecken von Vorwürfen und Stress, verliert die Nerven und den kühlen Kopf. Der sachliche Blick – und damit auch ein Stück weit das, was wir „Professionalität“ nennen - geht verloren. Führungskräfte hätten es unserer Meinung nach einfacher, wenn man ihnen sagt: „Seid respektvoll und höflich! Empathisch dürft ihr auch sein, müsst es aber nicht.“ Zumal empathisches Verhalten immer im Auge des Betrachters liegt.
Wo sehen Sie sind die Kernaufgaben von Führungskräften?
Dr. Conradt: Die Tätigkeit von Führungskräften konzentriert sich im Wesentlichen auf die Übernahme von Verantwortung, um – mit anderen zusammen - Unternehmensziele gemeinsam zu definieren und im besten Falle erfolgreich zu erreichen. Und damit ist auch die Beurteilung und Förderung von Menschen verbunden. Führungskräfte müssen in der Lage sein, entsprechend des Arbeitskontextes klar zu kommunizieren und Entscheidungen anderen zu erklären, nicht in einem psychologisch-therapeutischen Sinne, sondern um Ziele in konkrete Maßnahmen zu übersetzen, Fragen und Vorgänge zu klären. Auch dies kann nicht jeder gleich gut, aber dies kann man üben und sich z.B. coachen lassen.
Sichern Sie sich jetzt Ihr Online-Ticket und diskutieren Sie mit im Denkraum Sozialkompetenz wird überbewertet: Warum Führungskräfte keine Empathie benötigen am 24. Februar 2021 auf dem Frankfurter Zukunftskongress. |
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Dr. Matthias Conradt | Geschäftsführer INSITE-Interventions GmbH Dr. Matthias Conradt ist Dipl.-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor und Geschäftsführer der INSITE-Interventions GmbH, einem der führenden Anbieter für Employee Assistance Programme (EAP) in Deutschland. Im Rahmen der EAP-Beratung unterstützt Dr. Conradt Führungskräfte und Mitarbeiter der Kundenunternehmen in Einzelcoachings zu beruflichen Anliegen sowie zu persönlichen und familiären Themen. Weiterhin führt er seit dem Jahr 2003 Workshops und Seminare im Themenbereich der betrieblichen Gesundheitsförderung durch. Aus seiner beruflichen Tätigkeit vor seinem Einstieg bei INSITE Interventions verfügt Dr. Conradt ebenfalls über mehrjährige Berufserfahrung als Trainer für Lehr- und Ausbildungsinstitute, Unternehmen und Organisationen. |
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INSITE-Interventions GmbH INSITE ist für seine Kunden verlässlicher Partner in allen Fragen rund um Erhalt und Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Mitarbeiter und Organisationen. Mit EAP (Employee Assistance Program / externe Mitarbeiterberatung), Seminaren, Trainings und Workshops sowie der psychologischen Sprechstunde unterstützen wir Beschäftige und Organisationen. Unser Ziel ist es, stressbedingte Leistungseinbußen und Gesundheitsrisiken für Führungskräfte, Mitarbeiter und Unternehmen zu minimieren. |