Frische Ideen angewandt

Frankfurter

Zukunfts

Kongress

07.09.2021

Zukunft zu Fuß – oder doch lieber mit Radel?

Jürgen Schultheis

Die Zukunft lahmt, die CO2-Emissionen schießen wieder in die Höhe – und einer der Hauptübeltäter ist einmal mehr der Verkehrssektor. Was ist in dieser Lage das richtige Motto für unverbesserliche Optimisten? „Trotzdem“? Oder „jetzt erst recht“? Egal. Das Cluster Hessen Mobility des HOLM hat mit seiner Jahreskonferenz mehr zu bieten als Zuversicht. Nämlich geballte Expertise. Ein Gespräch mit dem Cluster-Manager Jürgen Schultheis.

 

Herr Schultheis, der Titel Ihrer diesjährigen Konferenz ist erkennbar Programm: „Zukunftsfähige Mobilität in einer lebenswerten Stadtregion“. Offenbar bedingt beides einander, aber wie? Was muss sich und was wird sich ändern?

Die Herausforderung liegt darin, eine Vielzahl von Aufgaben koordiniert und möglichst umgehend zu erledigen. Ein paar Beispiele: Der Großteil der Verkehrsleistung, also die Zahl der Menschen, die unterwegs sind, multipliziert mit der Strecke, die sie zurücklegen, wird heute in Metropolregionen erbracht. Mehr als 80% dieser Leistung entfallen auf das Auto. Die Folge: Die Straßen sind überlastet, wir verschwenden zunehmend Zeit in Staus und belasten die Umwelt. Hinzu kommt: Der Verkehrssektor leistet keinen Beitrag, um die Klimaziele zu erreichen, er stößt heute so viel CO2 aus wie 1990.  Deshalb brauchen wir umgehend eine Null-Emissions-Mobilität, deren Energie aus sauberem Strom kommt. Wir müssen dem Rad- und Fußverkehr in den Städten Priorität einräumen und Bahnhöfe zu Drehscheiben für alle Verkehrsträger ausbauen. Die Digitalisierung macht das möglich. Vor allem müssen wir das schienengebundene Verkehrssystems ausbauen, um Kernstädte und Umland besser zu verbinden und gleichzeitig die Planungszeiten drastisch reduzieren. Raum- und Siedlungsentwicklung müssen besser mit dem Ausbau des schienengebundenen Personenverkehrs verknüpft werden. Der Große Frankfurter Bogen ist ein gutes Beispiel dafür.

 

Gemeinhin, wenn von Verkehrs- oder Mobilitätswende die Rede ist, fallen Schlagworte wie mehr Radwege oder Ausbau des ÖPNV. Bei Ihnen liest man dagegen etwas von Mobilitätsstationen, neuartigen Apps sowie Architektur und Design. Schwebt Ihr Kongress in anderen Sphären?

Im Gegenteil, wir organisieren den notwendigen Wissenstransfer für die Verkehrswende auf Grundlage der Expertise unserer SprecherInnen und ReferentInnen, die jeweils aus ihren Sektoren und auf Basis ihrer Erfahrungen erläutern, wie der Umbau hin zu einer zukunftsfähigen, weniger umweltwirksamen Mobilität gemanagt werden kann. Wolkenkuckucksheim findet woanders statt. Der Unterschied zu einer Vielzahl von anderen Konferenzen, die sich jeweils nur mit E-Mobilität, nur mit Apps oder nur mit Mobilitätstationen befassen, liegt auch darin, dass wir diese Themen unter einer Überschrift diskutieren. E-Mobilität oder Radverkehr je für sich genommen sind notwendige Voraussetzungen für die Verkehrswende. Hinreichend sind sie zusammen mit anderen wichtigen Themen aber erst dann, wenn wir sie systemisch betrachten, sie gemeinsam entwickeln und beispielsweise berücksichtigen, welche Rolle herausragende Architektur für die Akzeptanz neuer Verkehrsinfrastrukturen hat, etwa von Bahnhöfen und Radwegen.  

 

Was sind für Sie ganz besondere wichtige Programmpunkte, welche Highlights darf man sich auf keinen Fall entgehen lassen?

Wir richten den Blick auf mittlere und kleinere Kommunen und fragen, wie wir verhindern können, dass ländliche Räume von den Kernstädten abgekoppelt werden. Wir dürfen nicht nur die Metropolen in den Blick nehmen. Wir fragen deshalb Bürgermeister, was ihre Kommunen brauchen, um die Verkehrswende einzuleiten. Wir geben Start-ups, jungen und etablierten Unternehmen die Möglichkeit, ihre Angebote für die Verkehrswende denen vorzustellen, die die Verkehrswende in den Kommunen gestalten. Und wir hören von Luxemburgs Vizepremier Francois Bausch, wie man erfolgreich Verkehrsinfrastruktur ausbaut, die Leistung des ÖPNV kostenlos anbietet und einen Beitrag leistet, die Klimaziele zu erreichen. Wir diskutieren über ÖPNV-Finanzierung und soziale Frage, die häufig außer Acht gelassen wird.  Das ist aber nur möglich, weil die Konferenz von vielen Partnern aus den verschiedensten Bereichen getragen und mit entwickelt worden ist.

 

Mit dieser Konferenz beginnt eine Kooperation mit dem Frankfurter Zukunftskongress. Der nächste Meilenstein wird Ihre Konferenz „Quantencomputing in Aviation, Mobilität und Logistik“ am
8. November sein. Was reizt Sie an dieser Zusammenarbeit?

Der öffentliche Diskurs über den Klimawandel hat in den vergangenen Jahren deutlich gemacht, wie groß die Kluft zwischen denen ist, die uns stetig und umfassend mit neuen Erkenntnissen über das komplexe System der biogeophysikalischen Welt versorgen, und denen, die überfordert, manchmal ratlos und häufig verwirrt auf diese Vielzahl von Fakten reagieren, weil es uns nicht gelungen ist, Zusammenhänge deutlich zu machen und das Bild einer lebenswerten Zukunft zu entwerfen. Kommunikation ist dazu ein bekanntermaßen wichtiger, aber bislang vernachlässigter Schlüssel. Der Frankfurter Zukunftskongress zeigt, wie komplexe Inhalte erfolgreich vermitteln werden. Diese Kompetenz brauchen wir für den Klimaschutz, die Verkehrswende und nicht zuletzt auch für die Vermittlung der Zukunftstechnologie Quantum-Computing. Deshalb freuen wir uns über diese Partnerschaft, weil wir damit Synergien schaffen.   

 

Jürgen Schultheis ist Senior Manager Cluster Mobility in der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH und Verantwortlicher für das HOLM-Handlungsfeld „Energie, Klimawandel & Verkehr“.